Neu im Kino: „Wind River“

07. Februar 2018 09:00 Michael Eckert Film ,

Ein aufwühlender Film über die fortwährende Krankheit Gewalt

Nach zwei großartigen Drehbüchern zu den Filmen „Sicario“ und „Hell or High Water“ liefert Taylor Sheridan nun den ersten Film unter eigener Regie. „Wind River“ bietet alles, was Kino spannend und unterhaltsam macht – und eine tief bewegende Story, die sich nicht einfach wie Schnee aus den Kleidern schütteln lässt.

Bereits mit seinen ersten beiden Drehbüchern hat der in Texas geborene, bis dato nur als Schauspieler bekannte Taylor Sheridan zwei herausragende Glanzlichter im modernen Genre-Kino gesetzt: „Sicario“ (2015) und „Hell or High Water“ (2016) bieten über die spannende Handlung hinaus plastische Einsichten in den Zustand der amerikanischen Gesellschaft. Sie erzählen von Menschen, die sich in sozialen wie auch in territorialen Grenzbereichen durchschlagen – sei es als Gesetzesbrecher oder als Hüter einer Ordnung, die Fragen aufwirft und die sich trotz Einsatz des eigenen Lebens nur oberflächlich und vorübergehend aufrecht erhalten lässt.

Taylor Sheridans Drehbücher sind klare Gegenentwürfe zu dem fortgesetzten Action-, Fantasy- und Comicverfilmungs-Einerlei. So war es nur eine Frage der Zeit, bis er auch selbst einen seiner Filme inszenieren würde. Und entsprechend groß waren die Erwartungen an den ersten kompletten Sheridan-Film „Wind River“, der bereits im Januar 2017 beim Festival in Sundance auf begeisterte Zustimmung stieß und dann im Mai beim Festival in Cannes einen Regiepreis gewann. Jetzt läuft der Film endlich auch in Deutschland an, und um es vorweg zu nehmen: „Wind River“ ist großartiges, bewegendes Kino, das auf dem Fundament klassischer amerikanischer Western steht und dabei ein visuell wie erzählerisch hoch aktuelles Filmerlebnis bietet.

Schauplatz ist das winterliche Indianerreservat Wind River in den Bergen Wyomings. Kalt ist es hier, bis zu Minus 30 Grad. Diese abgelegene und lebensfeindliche Umgebung hat man den Nachkommen der amerikanischen Ureinwohner als Lebensraum zugewiesen. Darüber hinaus hat man ihnen nicht viel gelassen, und um das Wenige konkurrieren die im eigenen Land ausgegrenzten Indianer mit den wilden Tieren der Bergwelt. Dass ihre kärglichen Viehbestände nicht von Wölfen oder Berglöwen weggefressen werden, soll Cory Lambert (Jeremy Renner) sicherstellen. Der professionelle Jäger muss im Auftrag des U.S. Fish & Wildlife Services Raubtiere von den Herden der Bewohner fernhalten. Ein einsamer Job in den Bergen. Aber dann stößt Cory auf einem seiner Jagdzüge auf die Leiche der jungen Indianerin Natalie Hanson (Kelsey Asbile). Eine furchtbare Entdeckung, denn er kennt Natalies Eltern ebenso wie er das Mädchen selbst kannte. Sie war die beste Freundin seiner eigenen Tochter, die drei Jahre zuvor auf ähnliche Weise ums Leben kam.

Diesmal sind die Spuren eindeutig: Natalie ist meilenweit barfuß durch den Schnee gerannt, bevor die Kälte ihre Lunge platzen ließ. Ein Tod mit Ansage. Als sie hier um ihr Leben lief, muss sie um die Aussichtslosigkeit gewusst haben. Aber wovor oder vor wem war sie auf der Flucht?

Die herbeigerufene Reservatspolizei und ihr Kommandant Ben (Graham Greene) fordern vorschriftsmäßig Hilfe vom FBI an. Schließlich ist es wahrscheinlich, dass Natalies Tod kein Unfall war. Aber es liegt auch kein offensichtlicher Mord vor, also schickt man zur Aufklärung des Falls nur die junge Agentin Jane Banner (Elizabeth Olsen) ins unwirtliche Reservat. Die stammt aus dem sonnigen Florida und war gerade auf dem Weg zu einem Lehrgang in Las Vegas, als sie in das eiskalte Wyoming abkommandiert wurde. Jane hat nicht einmal passende Kleidung dabei, geschweige denn Erfahrung mit einem Fall wie diesem. Aber sie ist schlau, und sie will den Tod des Indianermädchens unbedingt aufklären. Also bittet sie den erfahrenen Fährtenleser Cory um Hilfe. Der sagt zu, hat er doch ein persönliches Interesse daran, den oder die Täter zu finden. Schließlich ist es ein Hinweis von Natalies Vater Martin (Gil Birmingham) und dann ihrem drogensüchtigem Bruder Chip (Martin Sensmeier), der Cory und Jane auf die richtige Fährte bringt: Das Mädchen hatte eine Liebesbeziehung mit einem Weißen, der auf der nahe gelegenen Ölbohrstelle arbeitet. Aber der ist verschwunden. Um die Ereignisse zu rekonstruieren, braucht es nun Corys Fähigkeiten als Spurenleser, und bald wird klar, dass die Lösung des Falls nicht ohne weiteres Blutvergießen erfolgen wird.

Autor und Regisseur Sheridan erzählt den Plot in glasklar leuchtenden Schnee-Bildern, die uns Zuschauer die klimatische wie auch emotionale Kälte in Wind River fast physisch erleben lassen. Und über der schneidenden, fast klinischen Reinheit der winterlichen Natur liegt ein unsichtbarer, aber jederzeit spürbarem Schleier von Melancholie und Traurigkeit, der immer wieder kurz von Momenten sarkastischen Humors und menschlicher Wärme durchbrochen wird. Dieser Twist ist kennzeichnend für das Kino des Taylor Sheridan, der seinen „Wind River“ tatsächlich in einer Abfolge mit „Sicario“ und „Hell or High Water“ sieht: „Als ich mit der Arbeit an ,Wind River’ begann“, sagt Sheridan über seinen ersten Film als Regisseur, „betrachtete ich ihn als Abschluss einer thematischen Trilogie, die sich mit der modernen amerikanischen Frontier, dem Grenzbereich, auseinandersetzt. Sie beginnt mit der Epidemie der Gewalt an der Grenze zwischen den USA und Mexiko in ,Sicario‘, dann richtet sich in ,Hell or High Water‘ der Fokus auf die massive Schere zwischen Reichtum und Armut in West Texas. Das letzte Kapitel ist nun ,Wind River’ – die Katharsis.“

Ob Sheridan seine Erzählungen von geografischen und menschlichen Grenzerfahrungen nun tatsächlich als abgeschlossen betrachtet, darf bezweifelt werden: Bereits im August läuft in deutschen Kinos der Fortsetzungsfilm „Sicario 2: Soldado“ an, nach einem weiteren Drehbuch von Taylor Sheridan. Es wäre ja auch schade, wenn dieser unverbrauchte, noch junge Ausnahme-Autor sein Werk jetzt auch schon als abgeschlossen betrachten würde. Schließlich hat seit Clint Eastwood kein einzelner Hollywood-Autor das tot gesagte Genrekino auf so selbstbewusste und scheinbar selbstverständliche Weise zu neuem Leben erweckt.

Wind River Trailer German Deutsch (2017)

Michael Eckert

„Wind River“ startet deutschlandweit am Donnerstag, den 8. Februar 2018 übrigens im UCI Mundsburg in deutscher Fassung und im Studio-Kino in Originalfassung mit dt. Untertiteln.

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