29. Filmfest Hamburg feiert Eröffnung
Im CinemaxX am Dammtor begann mit dem Film „Große Freiheit“ von Sebasian Meise das Filmfest Hamburg unter der Leitung von Albert Wiederspiel.
Ein Fest für die Sinne mit WOW-Effekt
„Open all senses“ (dt. öffne alle Sinne) steht in Großbuchstaben über dem Haupteingang des CinemaxX-Kinos am Dammtor. Mit dieser Empfehlung startete am Donnerstag, den 30. September 2021, die 29. Ausgabe des Filmfest Hamburg – ein Fest für die Sinne! Insbesondere während der Entbehrungen, welche die Corona-Pandemie und die Gegenmaßnahmen nicht nur kulturell einfordern.
Hauptmotto dieses Jahr: „Schau! Wow!“. Dieser etwas holprige Reim bringt kurz und knackig auf den Punkt, welchen Effekt die kommenden Projektionen bei den Zuschauern idealerweise hervorrufen. Ein buntes Programm, aufgeteilt in zehn Sektionen, soll das Publikum zum Staunen bringen.
Festival-Stimmung trotz Corona-Maßnahmen
Dabei finden die Festivitäten unter Auflage der 3G-Regeln (geimpft, genesen, getestet) statt. Somit gilt in den Kinosälen eine Schachbrett-Sitzordnung, nach welcher nur jeder zweite Platz belegt wird. Deshalb wurde die Eröffnungsfeier auf die Säle 1-3 des CinemaxX aufgeteilt, um dem Andrang der geladenen Gäste trotz Abstandsregel gerecht zu werden. Die Feierlichkeiten wurden aus Saal 1 live in die Kinos 2 und 3 übertragen.
Wie Albert Wiederspiel in seiner Rede betonte, wären ihm 2G-Regularien lieber gewesen. Aber er hieß dennoch alle Anwesenden herzlich willkommen und führte gewohnt humorvoll und wortgewandt durch den Abend. Zwischendurch übergab er das Wort dem Hamburger Kultursenator Dr. Carsten Brosda, der die wichtige Stellung von Kultur allgemein, aber auch den hohen Wert des Filmfest Hamburg innerhalb der hamburger Kulturlandschaft, hervorhob. Außerdem überreichte er dem Festivalleiter Albert Wiederspiel die Senator-Biermann-Ratje-Medaille und würdigte damit dessen Wirken beim Filmfest seit dem Jahr 2003.
Abgerundet wurde die Eröffnungsfeier durch die musikalische Darbietung von Alexander Simon (Gesang), Philipp Haagen (Flügel) und Olaf Casimir (Kontrabass), welche neben einem Gedicht im Gedenken an die Ereignisse in Afghanistan auch zwei Chansons von Yves Montand vortrugen (Bicyclette und Barbara).
Und nicht nur ein Gedicht wurde den Menschen in Afghanistan gewidmet. Auch die Gelder, die man üblicherweise in Blumensträuße für die geladenen Filmgäste investiert hätte, kommen stattdessen der Organisation „Afghanischer Frauenverein eV“ zugute.
Eröffnungsfilm: „Große Freiheit“ von Sebastian Meise
Den filmischen Anfang machte dann die österreichisch-deutsche Produktion „Große Freiheit“ vom österreichischen Regisseur Sebastian Meise. Ein Film, der von der Unterdrückung Homosexueller durch den Paragraphen 175 in drei Zeitsträngen erzählt. Die Handlung ist nahezu komplett im Gefängnis verortet. Eine beengte Welt, die sich über den Handlungszeitraum von 1945 bis 1969 nur wenig verändert. Die Hauptfiguren sind Hans (Franz Rogowski) und Viktor (Georg Friedrich). Viktor hat direkt nach dem Krieg eine lange Haftstrafe abzusitzen. Hans leistet ihm immer wieder mal Gesellschaft, die zur Freundschaft wird. Sein wiederholtes Vergehen: §175 – „homosexuelle Unzucht“.
Obgleich Homosexualität nach einer ersten Reform im Jahre 1969 nur noch unterhalb eines sogenannten Schutzalters von 18 Jahren strafrechtlich geahndet wurde, hielt die Bundesrepublik Deutschland bis ins Jahr 1994 an dem seit der Nazizeit unveränderten Paragraphen fest. Etwa 140.000 Männer wurden darunter verurteilt.
So auch Hans – eindrucksvoll verkörpert durch den Darsteller Franz Rogowski (Undine). Hans verbringt so viel Zeit im Gefängnis, dass er das Gefühl der großen Freiheit vergisst.
Besonders erschütternd: Seine erste Haftstrafe im Jahre 1945 führt ihn nach zehn Monaten Konzentrationslager unter dem NS-Regime direkt in ein Gefängnis unter Verwaltung der Alliierten. Hier soll Hans die restlichen vier Monate des Nazi-Urteils absitzen.
Im Interview betonte Regisseur Sebastian Meise, dass er im Laufe seiner Recherchen auf mehrere Berichte von schwulen Männern gestoßen sei, denen genau dieser ungeheuerliche Vorgang passiert war.
Ambitionierter Film mit starken Darstellern
Der düstere Film möchte die beklemmende Unterdrückung und gleichzeitig den Freiheitsdrang, welcher sich auch durch die Gefängnismauern hindurch Bahn bricht, schildern. Im Zentrum der ambitionierten Erzählung stehen die Diskriminierung und Strafverfolgung Homosexueller durch den §175, welchen Sebastian Miese bis zu seiner Filmrecherche gar nicht kannte, wie er im Interview zugab.
Dass auch die Unterdrückten selber die Zuschauer erreichen, liegt insbesondere an den energischen Darbietungen der beiden Hauptdarsteller Franz Rogowski und Georg Friedrich.
In seiner Anmoderation erzählte Albert Wiederspiel, er habe „Große Freiheit“ bei den Filmfestspielen in Cannes gesehen und sofort gewusst, dass er damit das 29. Filmfest Hamburg eröffnen wolle.
Trotz einiger kleinerer Unstimmigkeiten und einer eher fernseh-kompatiblen Optik war die Deutschlandpremiere von „Große Freiheit“ ein gelungener Eröffnungsfilm, der nach der Projektion vom Publikum mit Applaus goutiert wurde. Diesen vernahmen leider nicht die beiden Hauptdarsteller, die aus zeitlichen Gründen nicht anwesend sein konnten. Ein Hauch fehlender Glamour, der aber nicht die Vorfreude auf die noch kommenden Filme im Rahmen des Festivals nehmen kann.
Buntes Kinoprogramm aus aller Welt bis zum 9. Oktober 2021
Bis zum 9. Oktober werden in elf Hamburger Kinos – fünf davon sind Hauptstandorte, sechs Kinos gastieren mit einzelnen Filmvorführungen in der Veranstaltungsreihe „Filmfest ums Eck“ – über 100 Filme gezeigt. Der Großteil davon sind natürlich Deutschlandpremieren.
Karten gibt es noch in den jeweiligen Filmfestkinos (Abaton, Metropolis, Passage, Studio-Kino und CinemaxX Dammtor), im Levantehaus, Mönckebergstraße 7, 20095 Hamburg sowie über eine Ticket-Hotline.
Gegen eine Service-Gebühr von 2,00 EUR können auch Tickets auf www.filmfesthamburg.de bestellt werden. Welcher Service hier gegenüber den regulären Verkaufsstandorten geboten wird, ist allerdings nicht ganz klar. Der Online-Ticketkauf ist umständlich, zumal jedes einzelne Ticket mit persönlichen Daten personalisiert werden muss. Hamburg City Webguide empfiehlt den Ticketverkauf vor Ort.
Foto: © Mario Kraft