Wiederaufführung von „Tscherwonez“ beim Filmfest Hamburg
Wilde Thriller-Satire „Tscherwonez“ von Gábor Altorjay im Metropoliskino
Der Film „Tscherwonez“ des in Budapest geborenen Künstlers und Regisseurs Gábor Altorjay sollte im Jahre 1982 per Anweisung des ZDF ein „kleiner, schmutziger Film“ werden. Ergebnis dieser Vorgabe war eine experimentelle New-Wave-Satire – voll 80er!
Schwarz-Weiß und Sowjetcolor – „Tscherwonez“ wurde frisch restauriert
Und da das Filmmaterial nicht nur klein, sondern über die Jahrzehnte auch schmutzig wurde, widmete sich die deutsche Filmförderungsanstalt den Negativen und restaurierte im Rahmen des Förderprogramms Filmerbe (FFE) den Film, welcher nach §9 von „kuratorischem Interesse“ sei. Förderungssumme: 31.999 Euro für die Restauratoren der Rapid Eye Movies HE GmbH aus Köln.
Heraus kam eine Fassung, die im Rahmen der Möglichkeiten – das Material war wohl ziemlich ramponiert – wieder klare Bilder liefert in Schwarz-Weiß und stellenweise auch im sogenannten „Sowjetcolor“, ein leicht rötlicher Farbstich, der an Sepia erinnert. Dieses Werk wurde im Rahmen des 29. Filmfest Hamburg in der Sektion „Hamburger Filmschau“ wiederaufgeführt. Der Film wurde nämlich in Hamburg gedreht und lockte am 02. Oktober 2021 neben zahlreichen Mitwirkenden auch Hamburgensien-Liebhaber in das Kellerkino Metropolis am Gänsemarkt.
Plakativ zur Schau getragener Chaotismus trifft auf Kalten Krieg
„Tscherwonez“ blieb trotz Wiederaufbereitung ein kleiner, schmutziger Film. Wie Regisseur Gábor Altorjay im nachfolgenden Filmgespräch mitteilte, stand das Drehbuch damals nach zwei Stunden. Er wusste sofort, wie der Film auszusehen hatte.
Er erzählt von einem russischen Frachter, der im Hamburger Hafen festmacht. Vier Besatzungsmitglieder (eine Frau und drei Männer) bekommen Erlaubnis zum Landgang beim kapitalistischen Klassenfeind. Dimitri (Tom Dokoupil) ist zum ersten Mal im Westen – und türmt! Denn er möchte in Hamburg seinen Bruder finden. Es beginnt ein turbulentes Katz- und Maus-Spiel zwischen Dimitri, KGB-Agenten, dem bundesdeutschen Verfassungsschutz und einem Sensations-Jounalisten, der in Dimitris Flucht seine große Story wittert.
Tolle Club- und Straßenszenen aus dem Hamburg der 80er-Jahre
Die Verfolgungsjagd führt durch verschiedene Schauplätze in Hamburg. Immer wieder werden Dimitri und die KGB-Leute mit kapitalistischen Kultur-Schocks konfrontiert. Und Dimitri, der sich anfangs direkt zu Hause fühlte in der quirligen Hansestadt, beschließt am Ende – vom Kapitalismus überdrüssig – wieder zurück auf das sowjetische Schiff zu gehen. Dieser „Spoiler“ sei verziehen, da es neben der bloßen Handlung immer noch weitere Aspekte gibt, die „Tschernowez“ – benannt nach sowjetischen Goldmünzen, mit denen Dimitri seine Flucht durch Hamburg finanziert – zu einem sehenswerten Kultfilm machen.
Eine Satire, die ihr klares Ziel offenlässt
Altorjays Film bezieht im Kalten Krieg keine Seite. Die sowjetischen Agenten mit ihrer proletarischen Verklemmtheit werden ebenso durch den Kakao gezogen wie die westliche Dekadenz der Konsumwesen, die für jeden Dienst eine Gegenleistung erwarten.
Dass die „Iwans“ am Ende des Films wieder geläutert-linientreu das Schiff in die kommunistische Heimat betreten, gereichte in den 80er-Jahren nicht als Argument für die Filmfestspiele in Moskau, „Tscherwonez“ zu zeigen. Man sei mit dem Film „nicht sehr zufrieden“ gewesen, schildert der ungarische Regisseur noch schmunzelnd.
Nach heutigen Maßstäben glänzt der Film, der übrigens 1982 im ZDF uraufgeführt wurde und erst 1983 in die Kinos kam, mit einer beeindruckenden Aktualität sowie einer durch und durch „diversen“ Besetzung – heutzutage ja elementar, um überhaupt finanzielle Mittel der Filmförderungen zu erhalten. Der Schwarz-Weiß-Film bildet ein buntes und äußerst freizügiges Hamburg ab und bot damals verschiedenen Milieus eine Bühne. Die Erzählweise ist rasant und musikalisch untermalt durch die Limburger Neue-Deutsche-Welle-Band „The Wirtschaftswunder“. Berührend ist der Film nicht, möchte er auch nicht sein. Aber er ist durchaus spektakulär und angemessen irritierend. Er hinterlässt einen Eindruck.
Einziges Manko im Hinblick auf den komödiantischen Anspruch – so mancher Gag und Handlungs-Dreh wird allzu dialoggetrieben nochmals erklärt. Was ob der sonstigen Wortkargheit des Films umso mehr auffällt. „Tscherwonez“ wäre vielleicht auch mit noch weniger Text ausgekommen.
Dennoch gehört der Film zum Kulturgut des Filmschaffens und die Restauration im „kuratorischen Interesse“ ist ebenso gerechtfertigt wie gelungen.
Im Rahmen des Filmfest Hamburg wurde der Film nur einmal projiziert. Augen also offen halten nach weiteren Wiederaufführungen!
Beitragsfoto: Die KGB-Agentin im Mantel aus Kroko-Imitat lässt sich einen Whopper bei Burger King schmecken © Werner Grassmann