Düsteres Musical „Annette“ und Preisverleihung beim Filmfest Hamburg

03. Oktober 2021 19:54 Mario Kraft Film ,

Douglas-Sirk-Preis geht 2021 an den französischen Regisseur Leos Carax

Ein besonderes Event im Rahmen des Filmfest Hamburg ist in jedem Jahr die Verleihung des Douglas-Sirk-Preises. Die Auszeichnung ist benannt nach dem Film- und Bühnenregisseur Hans Detlef Sierck. Der gebürtige Hamburger floh mit seiner jüdischen Frau vor dem NS-Regime in die USA und benannte sich um in Douglas Sirk. 2021 geht der Preis an den französischen Regisseur Leos Carax, dessen erster Musicalfilm „Annette“ im Anschluss an die Preisverleihung als Deutschlandpremiere lief.

Preisverleihung mit Gesangseinlage

Den Abend eröffneten Festivalleiter Albert Wiederspiel und Kultursenator Carsten Brosda. Sie würdigten die bisherige Arbeit von Leos Carax, betonten aber, dass es sich beim Douglas-Sirk-Preis nicht um eine Auszeichnung für das Lebenswerk handele. Sie sähen darin noch keinen Abschluss und freuten sich noch auf weitere Werke des französischen Filmkünstlers. Des Weiteren sei schon „Annette“ allein eine Auszeichnung mit dem Award des Filmfest Hamburg wert.
Die Trophäe wurde dann nicht auf der Bühne überreicht. Albert Wiederspiel und Carsten Brosda stiegen die zahlreichen Stufen des CinemaxX 1 empor, um Leos Carax inmitten des Publikums auszuzeichnen. Albert Wiederspiel versprach aber, dass der aufmerksamkeitsscheue Künstler nach der Filmvorführung noch auf die Bühne kommen werde.

Eine feurige Gesangseinlage, begleitet vom Akkordeonvirtuosen, vertonte nochmal die Filmografie von Carax und stimmte das Publikum auf den anschließenden Musicalfilm „Annette“ ein.

„Annette“ – Publikumsbeschimpfung als Musical

Die ersten Sätze des Filmes schwören das Publikum aus dem Off ein, das von nun an Atemlosigkeit verordnet sei. Von der Aerosole-Theorie mal abgesehen nicht ohne Grund, denn in den anschließenden fast zweieinhalb Stunden entzündet sich ein geradezu erstickendes Feuerwerk aus toxischer Liebe, hoffnungsloser Wut und pathetischen Musicalnummern – allesamt geschrieben von den beiden Brüdern Ron und Russell Mael der 70er-Jahre-Band „Sparks“.

Henry McHenry (Adam Driver) tritt unter dem Namen The Ape of God (dt. Der Affe Gottes) als gefeierter Comedian auf. Sein Humor ist derb und sein Programm geprägt von dem Überdruss an Aufmerksamkeit, die sein Beruf mit sich bringt. Wüst verhohnepiepelt er das dankbare Publikum, von Carax zu einer scheinbar willenlosen Lach-Masse stilisiert.
Im Laufe eines Comedy-Programmes gesteht er dann dem Publikum, der Affe Gottes sei gezähmt worden. Vom Markt. Verlobt mit einer Königin, die ihm den Verstand raubt. Eine Frau namens Ann Desfranoux (Marion Cotillard).

Ann ist eine junge Operndiva, die ebenfalls am Zenit ihres Erfolges steht. Während McHenry den Sinn seiner Arbeit darin sieht, das Publikum zu zerstören, zu erschlagen, zu ermorden, sieht Ann sich zu der Aufgabe berufen, ihre Zuschauer zu erlösen. Dafür breitet sie Opernabend um Opernabend ihre Gefühlswelt aus, um am Ende dramatisch zu sterben – gefolgt von unzähligen Verbeugungen vor der jubelnden Zuhörerschaft.

Das Künstlerpaar heiratet und bringt eine Kunstfigur zur Welt

In ekstatischer Verliebtheit rast das junge Glück mit dem Motorrad den Sonnenuntergängen von Los Angeles entgegen und verbringt eng umschlungen Nächte im Ehebett. Schon bald erwartet Ann – von den Medien rege kommentiert – ein Kind. Sie gebiert ein hölzernes Scheusal, eine Puppe mit künstlichem Horrorblick. Das Kunstprodukt erhält den Namen „Annette“ und wird von den Eltern innig geliebt. Doch etwas verändert sich in der jungen Familie.

Trouble in Paradise – gefangen im Goldenen Käfig

Der Affe Gottes wird immer unzufriedener und seine Wut auf die ehemals selbstgewählte Öffentlichkeit bricht sich immer deutlicher Bahn. Die ständige Überwachung durch Zuhörerschaft und Medien widert ihn an und er wiegelt zunehmend sein gar nicht so willenloses Publikum gegen sich auf. „Das ist nicht lustig, Henry!“, „Genug, Henry!“, „Henry, du bist ein Arschloch!“.

Das drückt auch auf das Eheglück, weshalb die Familie samt Puppen-Baby auf einen Yacht-Urlaub entflieht, der alles verändert.

„Annette“ ist ein Film, der in seiner Machart gewisse Kooperationsbereitschaft vom Publikum einfordert. Keine leichte Kost, sondern erschlagender Bombast. Das soll auch so sein, denn in dem Musical kommen bombastische Gefühle des Künstlerdaseins im Umgang mit ständiger Öffentlichkeit zum Ausdruck.

Entsprechend zurückhaltend und eingeschüchtert zeigten sich nach dem Film die Zuschauer im Saal beim Filmgespräch. Regisseur Leos Carax ist in der Filmwelt bekannt dafür, kein Fan von Q&As zu sein, bzw. dass er sie öfter mal zu Q&Qs umgestaltet. So hatte Albert Wiederspiel es schon in der Laudatio angekündigt. Ein paar Antworten gab Carax dann aber doch preis und es ist ja auch eine unsägliche Aufgabe für Künstler, ihr eigenes Werk interpretieren zu müssen, wo doch das Werk schon für sich sprechen soll.

Fazit – Polarisierendes Werk eines zurecht ausgezeichneten Regisseurs

Das Filmmusical „Annette“ trifft keinen allgemein-gefälligen Geschmack – der Film ist pathetisch, artifiziell und macht keinen Hehl aus dem Aufwand, der in der Produktion steckte. Aber genau deshalb trägt er die authentische Handschrift des Filmkünstlers Leos Carax und wird sicherlich einen Kreis inniger Liebhaberinnen und Liebhaber finden. Wer sich sein eigenes Urteil bilden möchte, kann sich „Annette“ am Mittwoch, den 06. Oktober um 21:15 Uhr nochmal im Abaton ansehen.

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